**Mit der Kraft einer Schokoladentafel: Mit Ionenantrieben auf große Raumfahrt**

Die Weltraumfahrt – auch in unendliche Weiten – hat mit der irdischen Mobilität eine Gemeinsamkeit: Wenn Raumsonden oder Satelliten einmal in einer Umlaufbahn oder auf dem Weg nach „draußen“ sind, dann düsen sie vermehrt rein elektrisch in der weiten Raum. Zwar müssen die Raketen immer noch mit großem Krawumms vom Boden angelupft werden. Alles Weitere funktioniert besser elektrisch. Das spricht sich in dieser speziellen Mobilitätsbranche nun auch weiter herum. Seit der Flugzeug- und Raumfahrtkonzern Boeing eine Satellitenplattform rein elektrisch vorgestellt hat, ziehen immer weitere Konzerne nach.

Elektrisch Weltraumantriebe, sogenannte Ionentriebwerke, sind eigentlich recht schwach, dafür aber in der Ausdauer immens leistungsfähig. Der Physiker Kristof Holste nimmt gern zum Vergleich eine Tafel Schokolade in die Hand. Ein Viertel dieser 100-Gramm-Tafel – also die Menge weniger Schokostückchen – drückt durch die Schwerkraft genauso stark auf seine Hand wie ein großes Ionentriebwerk auf einen Satelliten ausüben würde. „Klar, mit einem Ionentriebwerk kann man niemals vom Erdboden aus starten“, erklärt Holste, der an der Universität Gießen Ionentriebwerke entwickelt. Doch wenn auch nur eine geringe Strahlkraft permanent und über Tausende Stunden den Satelliten durchs All schiebt, dann kommen hohe Geschwindigkeiten zustande – die nächstgelegenen Planeten wie Mars und Venus oder Merkur im Inneren des Sonnensystems oder die äußeren Planeten kommen so in Reichweite.

Vom Boden abhebend, verbrennen die klassischen chemischen Raketenantriebe große Treibstoffmassen bei Austrittsgeschwindigkeiten von rund vier Kilometern pro Sekunde – für wenige Minuten. Dann ist der Satellit aber auch schon hoch oben. Ein Ionentriebwerk hingegen düst seinen Treibstoff mit bis zu 60 Kilometern pro Sekunde aus, hauchzart, aber bei 50.000 Betriebsstunden.

**Auf den Rückstoß kommt es im All an**

So ein Ionentriebwerk erinnert ein bisschen an einen Fön zum Haaretrocknen. Aus dem Gerät kommt ein warmer Luftstrom raus. Beim Triebwerk sind dies Xenon-Ionen. Xenon ist ein Edelgas und wird in einer Gasflasche mit geführt. Nach dem Verfahren einer Mikrowelle trennen die Konstrukteure die Elektronen in einem Hochfrequenzfeld von einigen Megahertz ab. Das Xenon ist ionisiert, elektrisch positiv geladen und wird per Hochspannung auf ein negativ geladenes Gitter beschleunigt. Das Ganze tritt durch das Gitter und gerichtet aus dem Triebwerk aus. Die Technik fügt zur Neutralisation wieder Elektronen hinzu, und alles düst ins All. Den gleichen Impuls, den die Gesamtmenge des Gases in die eine Richtung erfährt, gewinnt das Raumfahrzeug in die andere Richtung. Das ist klassische Rückstoß-Mechanik à la Sir Isaac Newton aus dem 18. Jahrhundert.

Im 21. Jahrhundert hat mittlerweile mehr als jeder zweite Satellit einen Ionenantrieb an Bord. Auch die aktuell Richtung Merkur fliegende Sonde BepiColombo. Benannt ist das Raumfahrzeug nach dem Italiener Giuseppe „Bepi“ Colombo (1920 bis 1984), der den sogenannten Swing-by mitentwickelte: Raumsonden nutzen bei ihren Touren durch das Sonnensystem das Schwerfeld eines Planeten, um mal so richtig zu beschleunigen und sich in eine andere Richtung zu katapultieren. Bei der aktuellen Mission BepiColombo der europäischen und japanischen Raumfahrtbehörden ESA und Jaxa sind das gleich neun Swing-by Manöver, um an Erde und Venus vorbei zu beschleunigen und an Merkur abzubremsen. Das Finetuning erfolgt dabei durch die Ionentriebwerke. Die Sonde startete im Oktober 2018 und wird im Jahr 2021 am Merkur ankommen. Vergangenen Dezember testeten die Ingenieure der ESA in Darmstadt erstmals die vier Ionentriebwerke an Bord. „Das war eine knifflige Angelegenheit“, berichtete Elsa Montagnon von der BepiColombo-Mission. Bald darauf ging‘s auf Reisegeschwindigkeit, mit einer Kraft von 125 Millinewton, was laut ESA der Gewichtskraft einer Haushaltsbatterie entspricht.

**Energieversorgung über Solarpanels**

„Die Ionentriebwerke werden Standard. Das ist für uns eine spannende Zeit“, sagt Entwickler Holste. An der Universität Gießen wurde mit russischen Kooperationspartnern schon in den 1990er Jahren eine Merkur-Mission erwogen. Damals schlugen die Russen einen Kernreaktor vor, um die Energie für das Ionentriebwerk zu liefern. Die europäische Raumfahrtagentur ESA winkte ab. Später wurden Weltraum-taugliche Solarzellen so leistungsstark, dass heute die Energieversorgung von Satelliten und Raumsonden fast immer über Solarpanels erfolgt.

Aktuell erforschen die Wissenschaftler um Holste etwa zum Antriebsstoff Xenon alternative Materialien. Zum einen ist Xenon recht teuer, zum anderen muss es in 300-bar-Drucktanks mitgeführt werden. Das ist unter den rauen Startbedingungen von Raketen immer ein Sicherheitsrisiko. Ein fester Treibstoff wäre da im Vorteil. Insgesamt muss ein Treibstoff leicht ionisierbar sein und eine hohe Masse haben, damit auch der Rückstoß groß wird. Interessant wäre das Halogen Jod, aber auch so kuriose Stoffe wie Nanodiamanten lagen in einem Kooperationsprojekt mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) aus Göttingen schon auf dem Experimentiertisch.

Wesentlich für die Funktionsweise des Ionentriebwerks ist, dass der Strom positiv geladener Xenon-Ionen beim Austritt aus dem Triebwerk wieder neutralisiert wird. Das geschieht durch Beigabe von Elektronen in den Strom. Würden die positiven Xenon-Ionen allein das Triebwerk und die Raumsonde verlassen, so würde sich die Raumsonde negativ aufladen. Es entstünde ein elektrisches Feld, in dem die Xenon-Ionen auf lang gestreckten Bahnen wieder zum Raumschiff zurück kehrten. Der Vortriebseffekt wäre dann gleich Null.

**Irdische Tests im Weltraum-Tank**

Auch können die Teilchen des Ionenstrahls an Bauteilwände von Triebwerk, Raumsonde oder Solarpanels prasseln und dort zu Erosionserscheinungen führen. In Simulationskammern studieren die Forscher daher das Triebwerk und den Teilchenstrahl unter Weltraumbedingungen. Der Jumbo genannte Tank an der Justus-Liebig-Universität Gießen hat beispielsweise einen Durchmesser von 2,5 Metern und eine Länge von sechs Metern. Über viele Stunden reduzieren die Vakuumpumpen den Innendruck auf unter ein Millionstel Millibar. Statistisch trifft dann ein Luftteilchen erst nach einer Weglänge von einem Kilometer auf ein anderes Luftteilchen. Dort setzen Holste und seine Kollegen die Ionentriebwerke ein und studieren deren Verhalten.

Die Größe und die Leistungsfähigkeit der Ionentriebwerke kann je nach Aufgabe eingestellt werden. Von ihren Abmaßen reichen sie von der Größe einer Kaffeetasse bis zu einem Bierfässchen. Zwei Trends macht Kristof Holste derzeit aus. „Zum einen gibt es die Verkleinerung von Triebwerken für den Einsatz in Kleinsatelliten, zum Beispiel in CubeSats, zum anderen der Bau sehr großer Antriebssysteme für den Flug zum Mars“, erklärt der Physiker. Auf einer Konferenz zu elektrischen Weltraumantrieben und deren Anwendungen haben sich die deutschen Forscher mit ihren russischen Kollegen ausgetauscht. Es ging ganz einfach darum, die Elektrifizierung der Weltraumantriebe weiter voran zu treiben. Wenn es schon am Erdboden mit den Elektroautos nicht so voran geht, wie es wünschenswert wäre. Am Firmament setzen alle auf den Elektroantrieb.

**Die Kraft der Ionen**

Durch den Rückstoß austretender Xenon-Ionen treibt ein Ionentriebwerk die Raumsonde voran. Doch wie stark ist diese Kraft?

Eine Schokoladentafel mit einer Masse von 100 Gramm drückt auf eine Hand mit einer Gewichtskraft von ziemlich genau 1 Newton (der physikalischen Größe für Kraft), was 1000 Millinewton entspricht. Die großen Triebwerke erzeugen Schübe von 200 Millinewton was ungefähr drei Schokostückchen einer klassischen Ritter Sport-Tafel entspricht.

Ein Haarfön übt einen abgeschätzen Schub von 400 Millinewton aus, bei einer Strömgeschwindigkeit von 50 km/h und einem Volumendurchsatz von 90 Kubikmetern Luft pro Stunde. Das entspricht dem Schub von zwei großen Ionentriebwerken.

Der menschliche Atem dürfte laut Physiker Kristof Holste mit Schüben von deutlich einem Millinewton verbunden sein. Diese Kraft erlaubt das Finetuning von Orientierung und Position eines Satelliten im Orbit.

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