Japanpraktikum führt THM-Studentin ins havarierte Kernkraftwerk

**Gießen.** Ein bisschen mulmig war es Isabella Zahradnik auf der Fahrt durch Fukushima schon. Immer wieder richtete sich ihr Blick auf das Dosimeter, dem Strahlenmessgerät. 4,4 Mikrosievert pro Stunde zeigte die Digitalanzeige. Bei Abfahrt der Forschergruppe im 20 Kilometer entfernten J-Village war die Dosis noch ein Zehntel geringer. „Wir durften unsere eigenen Dosimeter mitbringen“, sagt die 24-jährige Studentin. Damit konnte zumindest sie sich in der Sicherheit wiegen, alles unter Kontrolle zu haben. Mit Mundschutz und Plastiküberziehern ging es im Bus die zerstörten Reaktorblöcke des Kernkraftwerks Fukushima entlang. Ihre Fotos zeigen die zerborstenen Fassaden und die jüngst seitlich errichteten Hilfsstrukturen, um aus dem Innern der Reaktoren die Kernbrennstäbe zu bergen.

Izabella Zahradnik vor einer Karte radioaktiver Elemente. (Bild: m_)

Noch sind die Gefahren nicht gebannt. „Die japanische Behörden sprechen von einem 30 bis 40 Jahresplan“, berichtet Zahradnik, die an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) für den Master in Strahlenschutz studiert. Für ihr Studium absolvierte sie auch ein Praktikum in einer Außenstelle des TÜV Rheinland, Abteilung Strahlenschutz, in Yokohama. Und da war es für die Nachwuchsforscherin gewissermaßen ein Glücksfall, an jene Stelle zu kommen, die die Einstellung der Menschen zur Atomkraft nochmal grundsätzlich geändert und hier in Deutschland die Energiewende angestoßen hat.

Die Ereignisse vom 11. März des Jahres 2011 kennt Zahradnik wie im Schlaf. Ein Seebeben erschütterte nordwestlich der japanischen Küste um 14.46 Uhr Meeresgrund und Ozean. 50 Minuten später schlug der erste Tsunami mit einer 14 Meter hohen Welle an Land. Die elektrischen Systeme fallen in der Flut aus. Die Kühlung der Brennstäbe funktioniert nicht. Notstromaggregate springen nicht an. Die Brennstäbe brennen durch. Vier von sechs Reaktorblöcken sind zerstört. In dreien ereignet sich die Kernschmelze. Radioaktivität tritt aus. Im Vergleich wurden rund fünf bis zehn Prozent der Radioaktivität wie bei der Tschernobyl-Katastrophe freigesetzt. Die Winde waren indes günstig und wehten von der Küste Richtung Meer. Rund 170.000 Menschen wurden evakuiert.

Die Bewertung ihrer Reise ist für Zahradnik knifflig. Ob die Japaner die Nuklearhavarie im Griff haben, vermag sie nicht zu sagen. Zu kurz und gering waren die Einblicke, die der Betreiber Tepco den Besuchern gewährte. Jedenfalls ist es eine Jahrhundertaufgabe der Ingenieure, die materiellen Schäden bei Fukushima und auch in Tschernobyl zu beseitigen – weitere Langzeitfolgen nicht eingerechnet. Für die europäische Energielandschaft findet es Zahradnik widersinnig, dass Deutschland bis 2020 alle AKWs abschaltet und jenseits der Grenzen Kernkraftwerke weiter laufen. Wissenschaftlich ist das jedenfalls nicht begründet. Doch öffentliche Meinung, das Bild in den Medien und politische Abwägungen unterscheiden sich von Land zu Land. Japan stellt jetzt die ersten AKWs wieder an. Und Zahradnik hatte vermutlich während ihres Interkontinentalflugs nach Japan mehr Strahlung abbekommen als durch die Tagestour in Fukushima. Als gute Nachwuchsforscherin wusste sie das aber schon vorher.

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