Wer sich Innsbruck nähert und vom "Brenner" spricht, meint natürlich zunächst die Passroute nach Italien. Und doch meint Brenner auch ein zweites, eine der wichtigsten Literaturzeitschriften Österreichs in der ersten Hälfte des 20. Jh. Neben den Dreiklang Karl Kraus/die Fackel/Wien könnte man getrost setzen Ludwig von Ficker/der Brenner/Innsbruck. Mit einem Unterschied: Karl Kraus schrieb selbst, Ludwig von Ficker korrespondierte mit Dichtern und Denkern und fungierte überwiegend als Herausgeber und Verleger. (Der Schriftenname Brenner bezieht sich natürlich auf die Passroute, ist inhaltlich aber auch von der Fackel nicht weit entfernt.)

Und so ward ich bei meinem jüngsten Besuch in Innsbruck, Ende Juli, gleich zwei glücklicher Fügungen gewahr. Zunächst die persönliche, dass ich überhaupt das Brenner-Archiv entdeckte. Gemeinsam mit dem Literaturhaus thront das Brenner-Archiv über dem Häusermeer von Innsbruck im 10. Stock eines Uni-Gebäudes, fast direkt am Inn gelegen. Die Literaturhaus-Chefin Anna Rottensteiner hatte spontan Zeit für ein Gespräch. Archivar und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Brenner-Archiv Anton Unterkircher zeigte uns das Archiv, das aus statischen Gründen an die Fassade des 10. Stocks wie ein Rucksack angehängt ist.

Im Schuber, den Unterkircher für uns öffnete, fand sich die Verlegerkorrespondenz mit Rainer Maria Rilke, Thomas Mann, Paul Celan. Letzterer bot den Abdruck seiner Todesfuge an, worauf von Ficker nicht einging. Das war nur ein kleiner Ausschnitt, der schon erstaunen ließ. Das Staunen steigt noch mit einer kleinen Web-Recherche, die schnell zeigt, mit wem von Ficker sonst noch korrespondierte, etwa Heidegger und Wittgenstein.

Die zweite glückliche Fügung ist organisatorischer Art. Der gemeinsam Ort von Brenner-Archiv und Literaturhaus scheint genial. Die Location - auch wegen der attraktiven Aussichten auf Berge und Inntal - ideal für das Geistesleben. Wo trifft man sonst eine so anregende Verknüpfung von Literaturgeschichte und wissenschaftlichem Archiv (das neben dem Brenner längst auch Nachlässe wichtiger Autoren sammelt) mit aktueller Literaturarbeit, dichten und denken, an?

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