Marburg. "Wonnebald Pück" -- so einen Namen muss man sich erst mal ausdenken. Doch eine der schönsten und wichtigsten Geschichten von Ricarda Huch trägt den Titel "Lebenslauf des heiligen Wonnebald Pück". Eine furiose Satire auf die katholische Kirche, erklärt Hannelore Schmidt-Enzinger, Lehrerin in Marburg. Der faule, aber bauernschlaue Wonnebald wird von seiner Kaufmannsfamilie, die ihm nichts Bürgerliches zutraut, auf die klerikale Laufbahn geschickt. Und dort wird er immer weiter nach oben befördert -- erst zum Abt eines Klosters, dann zum Bischof --, damit er nicht schlimmeres anrichte. Er braucht nämlich viel Geld und manche List, um sich seinen wonnigen Lebenswandel zu finanzieren. Wäre er nicht nach einem Festmahl an Verdauungsproblemen gestorben, so hätte ihn die Kirche wohl bis zum Herrgott befördert. Immerhin wird er vom Papst heilig gesprochen. Mit Blick auf die Umtriebe des Bischofs in Limburg "eine ziemlich aktuelle Geschichte", sagt Schmidt-Enzinger.

So lohnt es sich, Ricarda Huch wieder zu entdecken.

Die Schriftstellerin und Historikerin Ricarda Huch (1864 bis 1947) zählte schließlich um 1900 zu den bekanntesten Persönlichkeiten in Deutschland. Neben Romanen, Erzählungen, Gedichten (diese laut Marcel Reich-Ranicki allerdings von mäßiger Qualität) schrieb sie auch zahlreiche, teils monumentale historische Werke. Mit zwei Bänden über die Romanik belebte sie die Erinnerung und das Wissen um diese Epoche um 1800 wieder. Interessant ist ihr Verständnis von Tradition, von "Was ist deutsch", sowie dem Reichsgedanken. Das ließ sie kritisch auf Bismarck und das Kaiserreich blicken. Von den Nazis distanzierte sie sich schon früh und trat beispielsweise aus der Preußischen Akademie der Künste 1933 aus. Sie wandte sich allerdings nicht aktiv gegen das Regime, sondern zog sich in eine Art innere Emigration zurück. Später plante sie eine Beschreibung und Würdigung der Widerstandskämpfer gegen die Nazi-Diktatur.

Wieso ist Ricarda Huch also vergessen? Es gibt halt auch andere, neuere Schriftsteller, die nachrücken, meinte einmal der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Zudem ist ihr Schreibstil schwer zu lesen: Lange, gravitätische Sätze (auf halbem Weg zu Thomas Mann, aber weniger ästhetisch elaboriert). Manche Worte sind in ihrer Bedeutung heute ungeläufig; doch daran sieht man, wie sich Sprache und Sprachgebrauch über 100 Jahre ändern. Und die Titel der Geschichten reißen einen nicht vom Hocker, etwa "Der Hahn von Quakenbrück".

Auch in anderen Genres hat sich Ricarda Huch versucht: Mit "Der letzte Sommer" hat sie einen raffinierten Kriminalroman vorgelegt -- empfehlenswert. Ihre Städtebilder sind brillante Miniaturen. "Der Dreißigjährige Krieg" monumental.

Wer Ricarda Huch für sich entdecken will, hat nur wenige Möglichkeiten: Der Buchhandel bietet wenig. Manches ist nur antiquarisch erhältlich -- und dann auch noch in Frakturschrift. Am besten bestückt sind noch die Stadtbüchereien und Uni-Bibliotheken.


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