martin_,
03.08.2017, 10:00
**Erst Zittern, dann Sausen – mit dem Elektroauto durch Stadt und Landkreis** **Marburg. **Die letzten Autotests zeigten, Elektroautos gelten als ausgereift. Zumindest für Klein- und Mittelklassewagen. Ich spreche hier nicht von diesem Tesla-Straßenflitzer für über 100.000 Euro das Stück. Sondern von Fahrzeugen, sagen wir mal der Golf-Klasse. Davon wollte ich mich jetzt überzeugen und bin Elektroauto gefahren. Wie komme ich da also ran, als Privatnutzer, der eben nicht die 20.000 bis 30.000 Euro für ein Neufahrzeug hat. Da ich kein Auto besitze, und in den letzten Jahren immer Carsharing gefahren bin, habe ich mich beim hiesigen Carsharing-Provider mit dem sonderbaren Namen Scouter bedient. Der hat genau ein Elektroauto, einen Renault Zoe, der ist Bau-ähnlich zum bekannten Verbrenner Renault Clio. Eine Zahl dominierte die Testfahrten, die ich und mein Freund Kai Baumann unternahmen, nämlich die doch recht bescheidene Reichweite dieses Fahrzeugs von nur 130 Kilometern. Klar, das ist eine Frage der Batteriekapazität. Derzeit liegen typische Reichweiten bei 300 bis 400 Kilometern. Doch komme ich mit dem ausgewählten Fahrzeug von Marburg auf die Sackpfeife und wieder zurück? **Ich nehme hier mal vorweg: Unser Fazit sieht erfreulich aus.** Also wir starten im Lahntal und fahren über Marbach und Caldern zur B62 Richtung Biedenkopf. Lahntal betone ich deswegen, weil eine Reichweite mit 130 km natürlich ohne Bergfahrten angegeben wird. Und von der Lahnebene auf 180 Meter über dem Meeresspiegel auf die Sackpfeife bei rund 670 Metern über dem Meeresspiegel müssen wir noch einen halben Kilometer in die Vertikale. Das kostet Kraft und Strom und Reichweite. Aber gar nicht soviel, wie sich später zeigte. Zunächst: Elektroautofahren geht nur mit Automatikgetriebe, es gibt die Schaltungs-Einstellungen P, R, N, D – für P wie Parken, R wie Rückwärts, N wie Leerlauf und D wie Drive oder Drauflosfahren. Wie stets betont, Elektroautos haben ein hohes Drehmoment, sind also extrem zugfreudig. Beim Zoe gibt’s daher eine Eco-Taste, die etwas Drehmoment wegnimmt, das man ja nicht unbedingt braucht, aber eben Energie verbraucht. Und darum dreht sich beim Elektroautofahren alles. Bis auf die Sackpfeife hoch sind das für uns 38 Kilometer, hin und zurück also mindestens 76 Kilometer. Klappt das mit der Reichweite von 130 Kilometern? Das fragen wir uns ständig, da wir nicht wissen, wie viel Reichweite das Erklimmen der Sackpfeife kostet. Das kann ich jetzt genau beantworten. Von der Abfahrt von der B62 knapp hinter Biedenkopf bis hinauf zur Sackpfeife sind es 7 Kilometer. Die realen 7 Kilometer kosten uns aber 22 Kilometer an Reichweite. Doch darauf kommt es gar nicht an, wie wir dann lernen. Beim Runterfahren arbeitet der Elektromotor nämlich als Generator. Er lädt beim Runterrollen die Batterie wieder auf. Das ist natürlich nicht ganz so effizient. Doch ist schon erstaunlich. Fährt man nämlich einen Berg hinauf und wieder hinunter, so ist der Gesamtverlust an Reichweite gar nicht so groß. Die Bilanz oben auf der Sackpfeife: 38 Kilometer gefahren, 56 Kilometer an Reichweite eingebüßt. Das sind natürlich nur Anfangsunsicherheiten. Später ging das alles viel lockerer. Im Grunde ist Elektroautofahren vom Umgewöhnen her so schwierig, wie wenn man von einem Opel Corsa mit Schaltgetriebe auf die Mercedes A-Klasse mit Automatik umsteigt: Vieles ist gleich oder ähnlich, an manches muss man sich beim Fahren erst umgewöhnen. **Abrollen und Seglen** Das Surren des Elektromotors hörte man gegenüber den Abrollgeräuschen und Fahrtwindgeräuschen so gut wie nicht. Das haben wir insbesondere in tempoberuhigten Zonen, etwa in Caldern gemerkt. Wir mussten schon vorsichtig, vorausschauend fahren, um Passanten und etwa Radfahrer nicht zu überraschen und zu irritieren. Ja, man fährt anders. Beim Bremsen wird kinetische Energie in Wärme umgewandelt. Die Energie ist weg. Lässt man den Wagen hingegen auf die Ampel zurollen, oder in der Kreisverkehr eintrudeln, dann lädt der Motor-Generator die Batterie wieder auf. Die Fachleute nennen das Rekuperation. Man versucht, unnötiges Bremsen zu vermeiden, also nochmal mehr vorausschauend zu fahren. Das klingt gut. Mit der Zeit werden wir mutig. Wir sind vom Parkplatz der Sackpfeife nicht nur zum Aussichtsturm gewandert, wir machen auch noch einen Abstecher zum Rimberg, um auch den dortigen Turm zu erklimmern. **Positive Gesamtbilanz** Und dann zurück nach Marburg. Die Gesamtbilanz: Wir sind 87 Kilometer gefahren. Nämlich auf die Sackpfeife, zum Rimberg, und dann noch – fast im Übermut – bei Kai in einem Ortsteil von Marburg zuhause vorbei. Abgegeben haben wir das Auto bei einem Ladezustand von 45 Prozent – Ladezeit 2 Stunden 10 Minuten laut Display. An Reichweite haben wir da nur 73 Kilometer eingebüßt. Also doch ein Perpetuum mobile. Ich meine, eher eine ungenaue Angabe. Kai meint, wir seien eben supersparsam gefahren. Unser beider Bilanz: Das Elektroautofahren ist ausgereift. Mit einem E-Fahrzeug in Marburg kommt man locker überallhin im Landkreis und wieder zurück. Auch Marburg – Gießen oder Wetzlar über die ausgebauten Bundesstraßen sind drin. Für Marburg-Frankfurt bräuchte man da allerdings ein Auto mit höherer Ladekapazität. Die neuesten Fahrzeugmodelle haben Reichweiten von 200 bis 400 Kilometern. **Elektrofahrzeuge in Stadt und Landkreis** Elektroautos in Diensten der Stadt: Die Fahrzeugflotte der Universitätsstadt Marburg besteht – ohne Feuerwehr – aus 38 Autos und Kleinbussen, wovon 18 reine Elektrofahrzeuge und zwei Hybride sind. Die 18 Elektrofahrzeuge sind: elf Renault Kangoo, vier Citroen Zero, ein Renault Zoe, ein Renault Fluence und ein VW Golf. Erfahrungswerte: Die eingesetzten Elektro- und Hybridfahrzeuge haben sich in der Universitätsstadt Marburg in ihrem jeweiligen Einsatzort bewährt, teilt die Stadt mit. Sie werden ganzjährig genutzt, ermöglichen den Transport von Werkzeugen oder Botendienste. Sie werden eingesetzt in den Bereichen Hochbau, Stadtgrün, Ordnung, Straßenverkehrsbehörde, Botenmeisterei, Jugendhilfe, Grünflächen, Vermessung und Asylbetreuung. Aufladen meist kostenlos: Die öffentlichen Elektrotankstellen in Marburg werden vorwiegend von den Stadtwerken Marburg betrieben und der Ladestrom derzeit kostenlos abgeben. Voraussetzung für den Zugang ist die Stadtwerke-Kundenkarte. Diese ist im Kundenzentrum der Stadtwerke erhältlich. Aktuell existieren folgende Tankstellen: Autohaus Wahl (Renault), Neue Kasseler Straße 66, Oberhessische Presse, Frauenbergstraße 20 und Stadtwerke Marburg, Am Krekel 55. Von den Stadtwerken werden zwei weitere Ladesäulen mit Park & Charge Konzept (Zugang mit spezieller Karte, mit Abrechnung) betrieben: Aquamar, Sommerbadstraße 41, und Parkhaus Pilgrimstein 17. Seitens der Stadt Marburg steht in der Barfüßerstraße 50 hinter dem Stadtverordneten-Sitzungssaal eine Elektrotankstelle mit kostenlosem Parken für die Zeit des Ladevorgangs zur Verfügung. Zahlenwerk: Nach Mitteilung der Zulassungsstelle des Landkreises sind in Marburg-Biedenkopf zum Januar 2017 gemeldet: 527 Elektrofahrzeuge (inklusive Hybridfahrzeuge mit Benzin/Dieselaggregat); in der Stadt Marburg 272. Zum Vergleich: Die Anzahl der insgesamt im Landkreis zugelassenen Fahrzeuge (PKW, LKW, Motorräder) beträgt derzeit 187.000 Stück. |
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