**Internationale Fachtagung von Mikrobiologen**

Bakterien sind auch nur Menschen. Wie die großen Mehrzeller-Kollegen müssen sich die einzelligen Mikroorganismen in einer riesigen Welt zurecht finden. Wie machen die das? Das war die Fragestellung von rund 180 Spezialisten der Biologie in Marburg. Wir Menschen können folgendes: Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tasten, „und Bakterien können das auch“, sagt die Marburger Mikrobiologin Anke Becker und gerät dann sogleich in den Fachdisput mit Tobias Erb vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie, wie das denn mit dem „Hören“ bei Bakterien sein könne, also dem Registrieren von Schallwellen. Nunja, Schallwellen sind eigentlich zu groß für die nur unter dem Mikroskop sichtbaren, klitzekleinen Bazillen.

Bakterienkolonie (Bild: UMR)
Bakterienkolonie (Bild: UMR)

Mitunter können Bakterien Licht wahrnehmen und Taktiles ertasten. In der Regel kommunizieren sie mit ihrer Umwelt über chemische Signale, was dem Riechen und Schmecken entspricht. Masterstudent Jannis Brehm von der Universität München (LMU) untersucht beispielsweise wie ein Bakterium erkennt, dass es im Verdauungstrakt einer Insektenlarve richtig angekommen ist, um sich dort dann auszubreiten. Ist die Larve tot, zieht das Bakterium weiter.

So martialisch geht es leider im Reich der Mikrobiologie immer zu. Bakterien, Viren, Pilze müssen sich sehr schnell anpassen, ihre Umwelt erkennen, sich untereinander oder mit anderen Arten verbünden, um zu überleben. Und diesem Reichtum an Anpassungsstrategien galt die Tagung „Wie Mikroorganismen ihre Welt erkennen“, die von Anke Becker und Erhard Bremer (beide Philipps-Universität Marburg) und Thorsten Mascher (TU Dresden) in Marburg ausgerichtet wurde.

> Im Interview erläutert Thorsten Mascher, "wie Mikroorganismen die Welt sehen". So auch der Name einer Tagung von Mikrobiologen in Marburg, die Mascher mit veranstaltet. Thorsten Mascher ist Mikrobiologe an der TU Dresden. Bakterien müssen sich beispielsweise ganz schnell an ihre Umwelt anpassen können, um zu überleben. Wie das funktioniert, versuchen die Forscherinnen und Forscher zu entschlüsseln.

Die Mikrobiologen der Lahnstadt zieht es bei diesen Veranstaltungen immer gern von den Lahnbergen ins Zentrum der Stadt. So findet das Jahreskolloquium des Loewe-Zentrums für Synthetische Mikrobiologie (Synmikro) schon traditionell im Mai im Kino Cineplex statt. Diesmal kamen die Biologen im Erwin-Piscator-Haus, der Stadthalle, zusammen. Sie genossen dabei nicht nur die anregenden Gespräche im Licht durchfluteten Foyer des Neubaus, sondern auch den tollen Blick auf Schloss und historische Altstadt.

Thorsten Mascher, Anke Becker und Erhard Bremer (v.l.n.r., Bild: UMR)
Thorsten Mascher, Anke Becker und Erhard Bremer (v.l.n.r., Bild: UMR)

Thorsten Mascher aus Dresden bestätigte nochmal, dass Marburg für Mikrobiologen der zentrale Forschungsstandort in Deutschland, wenn nicht gar Europa, sei. Und viele der anwesenden Forscherinnen und Forscher freuten sich darauf, im hoffentlich kommenden Jahr den Forschungsneubau für Synmikro auf den Lahnbergen beziehen zu können. Universitätsleitung und Land Hessen hätten diesen Wert erkannt. Und auch einen anderen Wert unterstrich die Tagung: Biologie ist längst keine Männerdomäne mehr. Viele Hauptvorträge wurden von etablierten Forscherinnen gehalten.

Etwa Bonnie Bassler aus Princeton, die darüber berichtete, wie es „tumbe“ Bakterien schaffen, sich untereinander abzustimmen. Bakterien können nämlich über Signalmoleküle – also gewissermaßen mit chemischen Wörtern – miteinander kommunizieren. Dann heißt es gemeinsam „Attacke“ auf ein Opfer, oder der Bakterienklumpen wandelt sich in einen für andere undurchdringlichen Schleim, einem sogenannten Biofilm. Manchmal produzieren Bakterienkolonien auch Gemeinschaftsgüter, etwa bestimmte Stoffe, um Nahrungsquellen gemeinsam zu verwerten. Im Verbund sind sie stärker. Die Arbeitsgruppe von Bassler an der Eliteuni Princeton versucht diese chemischen Kommunikationsnetzwerke zu entschlüsseln.

Das Spannende an der Mikrobiologie ist, dass es immer wieder neue Entdeckungen gibt, sagt Thorsten Mascher. Einen lustigen Aha-Effekt steuerte Kai Thormann aus Gießen bei. Normalerweise propellern sich Bakterien mit Geißelchen durch ihre Umgebung. Bleiben sie indes stecken, so können sie einen ganz speziellen Rückwärtsgang einlegen: Sie schlingen die Geißeln fest um sich, so dass der Bakterienkörper wie eine Schraube ausschaut. Dann drehen sie sich selbst heraus. Dieses Schraubenprinzip könnte dazu dienen, sich in Sicherheit zu bringen oder Feinde zu attackieren – je nachdem, wie das Bakterium seine Umwelt wahrnimmt.

Von Arthur Holl ist nur wenig überliefert. Eine Suchmaschinenabfrage bringt außer ein paar Fachpublikationen nichts Persönliches zutage. Er lebte in der Prä-Internet-Zeit. Jahrgang 1934, gestorben vermutlich um das Jahr 2009 (wie mir Christoph Allgaier von der Universität Tübingen berichtete). Holl war Zoologe, lange Zeit Professor an der Universität Gießen und hatte eine Passion: Spinnen. Ich traf ihn vielleicht zweimal kurz im Jahr 1996, daher ist die Erinnerung etwas blass. Er trat etwas kauzig auf, begeistert und engagiert für die Natur und die dort wuselnden Organismen.

Bis diese Woche vergaß ich ihn ganz. Selbst seinen Namen musste ich nachschlagen. Doch eines blieb mir unvergessen in Erinnerung. Etwas Einmaliges, meines Wissens nie mehr Wiederholtes, Unvorstellbares: Für eine kurze Woche im Juni 1996 präsentierte Holl in einer Ausstellung 100 Spinnenarten, live (!), in Terrarien. Das erscheint eigentlich unvorstellbar: Jede Spinnenart benötigt ihr eigenes ökologisches Umfeld, hat eigene Rhythmen, braucht eigenes Futter, und daher Fütterung in der Ausstellung. Ob diese Zahl daher großzügig aufgerundet war oder nicht: Meine Erinnerung gibt zwei Institutsräume voll gestellt mit Terrarien wieder. (Vielleicht hatten Forscher damals auch mehr Zeit, waren nicht ausgebucht mit dem Anträgeschreiben oder abgelenkt von der Dauer-Internet-E-Mail-Berieselung.)

In der Ausstellung: In einem Moment büxt eine Spinne aus. Tiefschwarz, groß. Mitarbeiterin Sabine Poppe schnappt sie mit hohler Hand. Da 'seilt' sich die Spinne geschwind vom Handteller ab. Schnell. Poppe hinterher. Sie fängt die dahin huschende Spinne erfolgreich ein und setzt sie behutsam ins Terrarium zurück.

Und noch was: Die einzige Spinnenart, die ihr ganzes Leben unter Wasser in einer Luftblase verbringt, Argyroneta aquatica, war dort auch zu sehen.

Diese Woche begegnete mir diese Spinnenart auf überraschende Weise wieder: Forscher um den Zoologen Christoph Allgaier von der Universität Tübingen und den Bauingenieur Jan Knippers von der Universität Stuttgart haben sich nämlich von Argyroneta aquatica abgeschaut, wie sie unter Wasser ihr Netz um die Luft und Leben spendende Blase spinnt. Nach diesem Konstruktionsprinzip hat nun eine studentische Projektgruppe einen Forschungspavillon gebaut: Eine Kunststoffhülle wird pneumatisch aufgeblasen (das entspricht der Luftblase). Drinnen steht ein Industrieroboterarm, der die Folie von innen mit Karbonfasern auskleidet. 45 Kilometer Faser hat der Roboterarm „versponnen“. Entstanden ist eine eindrucksvolle, gesponnene Karbon-Halbschale nach dem Vorbild der Natur und Spinne. Ziel der Entwicklung ist, Leichtbaukonstruktionsweisen der Natur auf technische Objekt zu übertragen.

Die Spinnen der Ausstellung haben Arthur Holl und seine Kolleginnen nach einer kurzen Woche wieder in die Natur entlassen. Er kannte die Fundstellen und Lebensräume genau. Außenstehenden hielt er diese Orte geheim. Begeistert sprach er von jenen sonnigen Plätzen am Kaiserstuhl (nahe Freiburg), wo noch die eine oder andere Spinnenart vorkam. So hoffe ich denn, dass Holl Begeisterung wie auch Wissen an die nächste Forscher- und Laiengeneration weiter geben konnte. Mich hatte die Begegnung jedenfalls in einem verändert: Ich wurde zum Spinnenfreund.


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Last update 02.01.2024

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