martin_,
29.01.2016, 18:00
Studierende der Konfliktforschung proben und erleben im Rollenspiel, wie sich Konflikte aus unterschiedlicher Sicht anfühlen – Workshop mit Simon Mason von der ETH Zürich. **Marburg. **Den Menschen gehen die Konflikte nicht aus. Das fängt in der Familie oder WG an und geht bis auf die internationale politische Bühne. Mehr noch: Viele Konflikte werden immer wieder aufs Neue durchfochten oder hören gar nicht mehr auf – siehe der Nahe Osten. Der Konfliktforscher Simon Mason von der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) Zürich sieht die internationalen Konflikte in den letzten Jahren gar wieder ansteigen. Rund vierzig Prozent der kriegerischen Auseinandersetzungen lassen sich durch Verhandlungen vermeiden, stellt der Forscher fest. Viele Verhandlungen gehen allerdings schief oder dauerten sehr lange. Es sei daher wichtig, neue Methoden der Verhandlung und Mediation zu entwickeln und zu verbessern.
Häufig greifen die Verhandlungsführer dabei auf Planspiele oder Rollenspiele zurück: Die Akteure in Konflikten, auch Diplomaten oder Beobachter (wie Journalisten) wechseln dabei die Rollen und tragen den simulierten Konflikt aus anderer Sicht aus. Für die besonders kniffligen und harten Fälle hat die amerikanische Forscherin Natasha Gill unter dem Namen „Integrierte Simulation“ (englisch: Integrated Simulation) eine viel versprechende, aber anspruchsvolle Methode entwickelt. Dafür erhielt die Forscherin unlängst den Marburger Peter Becker-Preis für Friedens- und Konfliktforschung. Ihr Kollege Simon Mason, bei dem Gill an der ETH die Methode weiter ausgearbeitet hat, stellte das Planspiel mit Studierenden des Zentrums für Konfliktforschung der Phillips-Universität Marburg in einem Workshop auf die Probe. Der Anspruch des Planspiels von Natasha Gill ist groß: Die Rollenspieler sollen für mindestens zwei Tage, bisweilen aber auch bis zu drei Monate, in die andere Rolle schlüpfen, erklärt die Forscherin. Das soll es den Teilnehmern ermöglichen, nicht nur die Perspektive zu wechseln und den Konflikt rational aus anderer Sichtweise zu betrachten, sondern auch die emotionale Seite wahrzunehmen. Andere – kürzere – Planspiele hätten nach Gill nämlich das Manko, dass die emotionale Ebene zu kurz kommt. Die Forscherin hat ihre Methode über die vergangenen zwanzig Jahre entwickelt und immer wieder erprobt, etwa im Konflikt Palästinenser/Israelis, in Ruanda und Kenia. Als Mediatorin hat Gill in Kenia 500 Menschen zweier konkurrierender Clans für zwei Tage ins Gespräch gebracht. „Auf der Mikroebene von Vierer- oder Fünfergruppen haben die Leute dann erlebt, was sie blockiert“, sagt Mason. Anspruchsvoll ist hier auch die Vorbereitung: Das Team der Vermittler (Mediatoren), dem auch Vertreter der Konfliktparteien angehören können, bereitet das Planspiel akribisch vor, analysiert die Konfliktlinien und gibt den Rollenspielern zur Vorbereitung dicke Dossiers zum Einlesen in die neue Rolle. Das können schon mal 80 bis 100 Seiten Lesestoff bedeuten. „Ein gutes Design eines Planspiels kann Monate bis zwei Jahre dauern“, erklärt Jule Bellingröhr. Die Sozialwissenschaftlerin leitet als Lehrbeauftragte am Marburger Zentrum für Konfliktforschung die Planspiele. Die Marburger Studierenden hatten im Workshop zwei Aufgaben, erstens an einem Planspiel zu Frauenrechten im Arabischen Raum teilnehmen, und zweitens ein eigenes Rollenspiel zu einem Konflikt ihrer Wahl entwickeln. Einen halben Tag Planspiel war am Anspruch von Gill gemessen kurz, doch die Studierenden sollten auch nur einen Eindruck von der Methode bekommen und diese auch kritisch hinterfragen. Die 23 Teilnehmerinnen und Teilnehmer schlüpften in die Rollen von Regierungsvertretern, Oppositionspartei, Muslimbrüder und Frauenrechtsorganisationen. Das Ziel ist ein besseres Verständnis der Konfliktdynamik, sagt Workshopleiter Mason. Durch ein Rollenspiel könnten sich die Konfliktparteien beispielsweise auf die eigentlichen Verhandlungen vorbereiten. Natürlich bildet auch ein Planspiel die Realität nicht korrekt ab, sagt Bellingröhr. Es liegt am Geschick, an der Erfahrung und Vorbereitung durch die Mediatoren, dass ein Rollenspiel gelingt und sich nicht an Stereotypen und Vorurteilen entlang hangelt. „Wichtig für die Studierenden war auch das persönliche Erleben“, sagt Bellingröhr. Wie wurde der Verhandlungsprozess unabhängig vom Ergebnis erlebt? Wie gingen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Frust um? Wie spielt die Persönlichkeit hinein? „In realen Verhandlungen kommt es auch auf die Persönlichkeit der Teilnehmer an“, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Spannend, und aus dem Leben gegriffen, waren auch die Rollenspiele, die die Studierenden selbst entwickelten. Eine Gruppe zerbrach sich den Kopf, wie die Verhandlungen in einer Wohngemeinschaft für einen Putzplan geführt werden könnten. „Rein präventiv, und um Konflikte zu vermeiden“, schmunzelt Bellingröhr. Eine weitere Gruppe überlegte, wie eine Diskussion zwischen Kommunalpolitikern und Bürgern vorbereitet werden könnte, in deren Kommune ein Flüchtlingsheim eingerichtet werden soll. Da wurden auch schnell die Grenzen von ausgedehnten Planspielen deutlich. Zwei Tage nähmen sich Kommunalpolitiker wohl kaum Zeit, um in die Rolle verängstigter Bürger zu schlüpfen. „Mehr als zwei Stunden bekommt man einen Kommunalpolitiker nicht an den Tisch. Das ist alles eine schöne Idee. Doch wer hat so viel Zeit und Geld, das alles vorzubereiten“, kritisiert eine Studentin. Die eigentliche Lehre ist wohl, dass Planspiele auf die Konflikte angepasst werden müssen. Bellingröhr sieht jedenfalls Planspiele als Chance, die anderen Sichtweisen in Konflikten erlebbar zu machen. „Mit dem Perspektivenwechsel lassen sich durch Empathie die Standpunkte der Anderen verstehen“, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Im Juli können Studierende das mit Bellingröhr wieder ausprobieren. Dann veranstaltet sie ein weiteres Mal ein Rollenspiel zu einem diesmal rein fiktiven Land. Dessen Präsident wähnt die Gesellschaft hinter sich. Doch die Lage eskaliert. Das Militär putscht. Jule Bellingröhr ist dann die Spielleiterin. Die Spieldynamik liegt aber komplett in den Händen der Teilnehmer. ... Comment |
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